Der „Chivas-Regal-Effekt“ im Online-Handel


 

Marketing ist die Kunst, einen unbeliebten Ladenhüter in einen Bestseller zu verwandeln. Im Spirituosen-Bereich gibt es zwei Segmente, in welchen diese Kunst besonders gut beherrscht wird. Ganz neu wurde diese Kunst für den Gin entdeckt. Die Traditionalisten in diesem Bereich sind die Whisky Destillerien, welche immer wieder neue Geschichten, Nuancen, Traditionen und Editionen präsentieren, damit dem geneigten Whisky-Liebhabern immer etwas zum weitersammeln bleibt. „Die Zeit“ hat in ihrer Ausgabe vom 16. Oktober 2014 darüber berichtet, dass man über schottischen Whisky keine Witze machen darf. Wer in diesem Bereich als Frischling in die Online-Welt der Connaisseure in einem Forum einsteigen will, sollte zunächst einmal die schier unzähligen Begrifflichkeiten studieren, bevor er sich dann doch als völliger Greenhorn dem Spot der gesamten versammelten Expertenwelt aussetzen muss.

Es gab auch mal eine Zeit, in der Whisky nicht en vouge war. Die Kenner mögen die alte Kamelle verzeihen, aber da es vielen nicht bekannt ist, muss die Geschichte doch kurz erzählt werden. Chivas Regal war einst ein Whisky am unteren Ende der Preisskala. Langsam aber sicher entwickelte sich eine internationale zahlungskräftige und vor allem männliche Kundschaft, welche bereit war immer wieder neue, ausgefallene Whisky-Varianten zu probieren. Um das Interesse dieser Whisky-Liebhaber zu wecken, waren zwei Dinge wichtig: Eine ausgefallene Packung und ein hoher Preis. Als man dieses Potential für den Chivas Regal erkannt hatte, bekam der unveränderte Whisky eine neue Packung und einen neuen Preis. Man könnte auch sagen: einen gepfefferten Preis, denn offenbar war der Whisky vielen jetzt würziger. Natürlich konnte man mit diesem Konzept keinen alten Whisky-Kenner hinter dem Ofen vorlocken. Aber was glauben Sie, wie viele sich für einen solchen halten? Der Erfolg von Chivas Regal spricht jedenfalls für sich. Besonders in China, denn dort verkauft Chivas Regal  inzwischen mehr als die Hälfte der gesamten Jahresproduktion.

Über Geschmack entscheidet nicht der Preis, sondern jeder ganz persönlich. Natürlich sind die wortreichen Produkt-Beschreibungen, forensischen Geschmacks-Radare und grotesken Tasting-Videos ein wichtiger Teil der Whisky-Kultur. Ein Tasting-Video ist ja an und für sich ein Paradoxon. Wer sich ein Video anschaut, kann allenfalls darauf vertrauen, dass der Protagonist seine ehrliche Meinung über das Produkt äußert. Aber wer von uns würde sich den freiwillig zu Hause an den Küchentisch setzen und für die Nachwelt auf Video festhalten, wie er den Inhalt seines Kühlschrankes probiert? Was ich damit sagen will: Es gibt kein reales Tasting-Video, sondern es ist immer eine gestellte Situation, mit der Interessen verfolgt werden, welche meist auf den Verkauf eines bestimmten Produktes zielen. Die Realität über einen Whisky kann nur erfahren, wer das Getränk auf der Zunge hat, an seinem Gaumen spürt.

Hier ist dem Online-Handel auf absehbare Zeit eine Grenze gesetzt. Ein Tasting kann man übers Internet jedenfalls nur suggerieren. Am Ende entscheidet der Geschmack des Kunden. Auf der anderen Seite ist der Kunde im Online-Handel vor dem „Chivas-Regal-Effekt“ so sicher wie sonst nirgends. Nirgendwo stehen mehr Informationen über ein Produkt zur Verfügung als im Internet und nirgendwo kann man innerhalb von Sekunden mehr Preise vergleichen. Die Schwierigkeit besteht vielmehr darin, aus der Flut der lancierten Informationen die für sich entscheidenden Faktoren zu filtern. Am Ende zählen die Meinungen aller Experten nichts, wenn dem Kunden der Chivas Regal seinen Preis wert ist.